Ich warte mit dem Fahrrad auf Grün, als eine schwarze Limousine direkt neben mir auf den Rechtsabbieger fährt. Das Fahrerfenster geht auf, ich bin schon genervt, Ellenbogen und Rauch kommen raus, laute Musik. Der Fahrer, sehr kurze Haare, sehr dunkle Sonnenbrille, fummelt mit der Kippe draußen rum, guckt starr nach vorne. Bin eingenebelt von Zigarettenqualm und der Musik, die jetzt mehr in meine Wahrnehmung dringt. Keine tobenden Bässe, kein elektronisches Getöse, zarte Töne, Läufe und Akkorde, ich rücke etwas näher ran und höre zu. Das ist doch keine E-Gitarre, eher eine akustische oder vielleicht sogar eine Laute? Komplizierte Melodie, interessante Wendung, ganz klar Barock, eher noch älter, die Frage fällt aus mir heraus, bevor ich groß drüber nachdenken: Entschuldigen Sie, ist das Dowland oder Purcell…? Der Mann im Auto schreckt etwas auf… äh, was?… macht die Musik leiser, ich muss die Frage noch mal stellen und jetzt ist es mir etwas peinlich. Er schiebt die Brille hoch, sagt: Nein, das ist Bach, die Lautensuiten, hier aber auf Gitarre, denn er würde selber Gitarre spielen und das sei besonders interessant und… Und da wird es Grün, wir müssen losfahren, von hinten schiebt uns Ungeduld. Danke, wunderbare Musik, sage ich und er sagt: Ja, nicht wahr, schönen Tag noch, und biegt rechts ab, während ich geradeaus fahre und mich von anderen Autos überholen lasse.
Archiv des Autors: Bettina
wie Sonntach
Ein zierlicher alter Mann kommt zögernd in den Döner-Laden. Schaut sich suchend um, der Mann hinter der Theke fragt, ob er helfen kann. Ja, wat haben Sie denn hier, ist die Frage. Alles, was Sie da oben sehen können, lautet im freundlichen Ton der Bescheid. Kopf im Nacken, Augen zusammengekniffen, schaut der Kunde nach oben. Schüttelt sachte den Kopf. Der Döner-Meister guckt sich das an, kommt rum und erklärt. Das ist Döner, dies ist türkische Pizza… dann legt er dem alten Herrn eine Hand auf die Schulter und sagt: Väterchen, wir haben auch Schnitzel im Brot. Soll ich Dir das machen? Ja, sagt der alte Mann, Schnitzel im Brot, det is jut. Während er sich einen Sitzplatz sucht, fragt der Döner-Meister, wie es mit einem Bierchen dazu wäre. Alkoholfrei hätten sie auch. Ja, sagt der alte Mann wieder, ja! Dit is ja wie Sonntach!
nach Hause
In Braunschweig fragt eine junge Frau den Fahrer eines Fernbusses nach seinen Tarifen. Sie möchte nach Berlin und hat noch ca. 10€. Was nicht reicht. Wenn sie online gebucht hätte wäre es billiger, aber sie wäre doch auf Reisen und hätte gar keinen Internet-Zugang, aber so könne er wirklich nichts machen und es täte ihm leid und das glaubt man ihm auch. Die Menschen auf den ersten Sitzreihen im Bus hören den Dialog. Eine energische Frau auf Sitz 1 unterbricht ihr langes türkisches Gespräch mit der Nachbarin und fragt, um wie viel Geld es denn eigentlich geht. Was, so wenig? In zwei Sprachen werden dem Fahrer Münzen angeboten, die junge Frau vor dem Bus staunt, freut sich, was, das würden Sie wirklich tun? Offensichtlich, denn auch andere Fahrgäste zücken spontan ihr Geld. Die beiden Tibetischen Nonnen aus der zweiten Reihe fragen auf Englisch worum es geht und geben auch sofort etwas dazu. Kurz darauf steigt die Reisende strahlend in den Bus und umarmt alle die im Weg stehen, Danke, ich darf nach Hause fahren! Der Fahrer sortiert die Unterlagen und murmelt: Hier is wat los.
Bach to go
Kassenschlange in einem Musik- und Noten-Geschäft. Regennass warten vier Menschen auf den Kassierer, der hektisch hinter den Tresen geht. Der junge Mann, der als erster in der Schlange steht, kauft eine Bachkantate, Klavierauszug, dünnes Heft. Der Kassierer nimmt das Geld, atmet laut aus, fuchtelt herum, sucht Wechselgeld, schaut hier und da hin, würdigt seine Kunden dabei keines Blickes, gibt mit Zagen und mit Seufzen sehr kleines Kleingeld raus und fragt mit vorwurfsvollem Ton: „Möchten Sie eine Tüte?“
„Nein danke“, antwortet der junge Mann ruhig und schaut den Kassierer an „ich singe es gleich.“
Der Mann an der Kasse schaut zum ersten Mal hoch, während sein Kunde den Laden verlässt. Die Kassenschlange kichert Minuten später immer noch.
Deutz
Der Novemberwald ist kahl und ruhig und der Hund fragt nach Stöckchen während wir querwaldein durch die Pilze gehen. Irgendwann kommt der breite Sandweg und ich stelle mir einen Blick über die Felder vor, also links rum. Und da steht etwas, mitten auf dem Weg. Ein kleiner Trecker mit einem großen Mann am Lenkrad. Während wir uns von hinten nähern wird Gebrummel immer besser hörbar, die beiden haben offenbar eine Diskussion. Als wir bei Mann und Trecker ankommen, steigt er gerade runter, einen Schraubenschlüssel in der Hand. Liegen geblieben, ja, der zieht Nebenluft, blöd, genau mitten auf dem Weg. Schraubt herum. Ob ich was helfen kann, frage ich, schieben oder … nee, sagt der Mann, die drei Tonnen kriegen wir nicht bewegt, da muss er schon einen großen Trecker von zu Hause holen. Gleich aus dem nächsten Dorf. Er probiert es noch mal, steigt auf, schiebt seine blaue Mütze zurecht, den Schraubenschlüssel in die Jackentasche, die schweren Stiefel auf die Pedale, der Deutz brummelt, springt nicht an. Ich habe Handyempfang, sage ich, falls das weiterhilft. Handy hat er auch, winzig in seiner großen Hand und während er über die Netzabdeckung im Landkreis spricht, schaut er mich zum ersten Mal an – und ich bin fassungslos. Alles ergibt plötzlich einen Sinn. Die Figur, die Stiefel, weißer Bart und leuchtend blaue Augen – er ist es. Höchstpersönlich. In blauer Arbeitskluft getarnt. Verwirrt verabschiede ich mich, gehe zu der Bank mit Blick über die Felder und frage mich alles Mögliche. Da sehe ich ihn, wie er mit großen Schritten, Handy am Ohr, Richtung Nachbardorf eilt. Hund bringt Stöckchen, dann ist der Mann nicht mehr zu sehen. Wenn ich nur lange genug hier sitzen bleibe, ob er dann kommt, um den kleinen Deutz abzuholen? Mit einem anderen Trecker? Oder mit dem Rentiergespann? Wie auch immer, ich bin ganz sicher, er war es und der Hund will weiter.
was Sprache macht
Kantinenschlange Deutsches Theater, Dienstagmittag. Anstatt schlicht zu bezahlen, fängt die lockige Kundin eine Debatte über das angeschriebene Menü an. Dort steht: Schweinebraten mit Klöße. Das müßte doch bitte „mit Klößen“ heißen, das sei doch ein Akkusativ, nn, mit KlößeN!, betont die Kundin. Die Kassiererin lächelt milde. Und wenn das jetzt um sich greife, schließlich sei das Deutsche Theater doch ein Vorbild und das müsse man sich doch mal klar machen, man hätte doch eine Verantwortung! Die Kassenschlange wird unruhig, von Grammatik werde man schließlich nicht satt und man nähme die Klöße auch ohne nn. Die Kassiererin macht hmm und guckt und guckt noch mal milde und befindet versöhnlich: Najut, wenn et Ihnen so stört.