Sie wirft sich im Gehen die Jacke über, altvertrauter Geruch doch etwas muffig, lange nicht angehabt, checkt kurz alle Taschen. Ein Zettel… zusammengefaltet, ganz grau geworden, die Ecken abgenutzt. Ein alter Einkaufszettel? Ein Kassenbon, nein, dann müsste das Papier anders sein… sie steckt ihn zurück in die Brusttasche, wirft sich den Rücksack über die Schulter, muss jetzt wirklich los. Während sie die Treppen runterhastet schlingt sie sich den Schal um, hoffentlich hat der Bus ein bisschen Verspätung!
Es war kalt geworden über Nacht und als sie gehen wollte, musste sie die dickeren Jacken aus ihrem Sommerlager in der Schrankecke zerren, sich schnell entscheiden dann direkt los. Auf dem Weg im Laufschritt zum Bus fragt sie sich, aus welcher Zeit der Zettel wohl ist. Die Jacke war eine von denen, die sie schon sehr lange hatte, abgeliebt und mit ausgebeulten Ärmeln, bestimmt 20 Jahre liefen die beiden schon miteinander herum. Doch die Tasche vorne links, wann hatte sie die jemals wirklich benutzt… für den Schlüssel zu unpraktisch, für‘s Handy ebenfalls, eine Taschentuchpackung hätte einen Wulst gemacht, für Kaugummis wäre sie gut gewesen, doch Kaugummis kamen in ihrem Leben nicht vor. Die Taschen links und rechts, wo sie Hände wärmen, Schlüssel und Taschentücher, Kastanien oder auch mal eine Bierflasche unterbringen konnte, die waren ausgeleiert, das Futter schon rissig, vertrautes Terrain. Aber die da oben…
Im Bus fummelt sie den Zettel wieder raus, dreht ihn in den Fingern, hat kein Bedürfnis, ihn zu öffnen, doch dabei biegt sich eine Ecke hoch. Innen werden feine Linien sichtbar, die außen höchstens noch zu erahnen sind. Sie sieht aus dem Fenster, der vertraute Geruch der Jacke mischt sich mit dem Mief im Bus und dann hat sie ein Bild klar vor Augen – der Block in der Küche, damals in der Zeit mit Martin. Die viel zu kleinen Karos, der Küchentisch, Dinge, an die sie lange nicht gedacht hatte.
Dann kommt ihre Haltestelle, sie steigt aus und wirft den Zettel in den nächsten Papierkorb.